top of page

Das Elmau-Prinzip

Tischgespräch mit Dietmar Müller-Elmau


Klassische Hotellerie? Ist ihm zu langweilig! Dietmar Müller-Elmau hat in dem Traditionshaus zwischen Karwendel, Wetterstein und Zugspitze mit alten Regeln gebrochen und so ziemlich alles auf den Kopf gestellt.


Früher hat er Elmau gehasst. Als Kind empfand Dietmar Müller-Elmau das Hotel, in dem er aufwuchs, mit seinen mächtigen Mauern und dem großen Turm, als extrem einengend. Nie hat er versucht, sich mit dem alten Anwesen zu arrangieren oder sich gar die Philosophie seines Onkels und seines Vaters zu eigen zu machen – denn Kompromisse sind nicht sein Ding. Bis heute nicht. Ja-Sager sind für ihn eine Beleidigung, Widerspruch ist anregend. Für einen Hotelier eine eher ungewöhnliche Eigenschaft. Mit seinen langen, blonden Haaren, Mokassins und blauem Leinenanzug wirkt Müller-Elmau eher wie ein Gast, als er den Panorama-Salon betritt. Nach der Begrüßung macht er es sich dann auch gleich im Sessel bequem, schlägt die Beine übereinander und taucht für zwei Stunden in unser Gespräch ein. Der Mann plaudert nicht. Er hat Sendungsbewusstsein, spricht gerne, viel, schnell und möglichst gehaltvoll, mag philosophische und theologische Exkurse. Zwischendurch lacht er dann wieder euphorisch und erzählt voller Stolz, wie er die Ratschläge hoch bezahlter Interieur-Designer abgelehnt und alte Stammgäste vergrault hat. Zum Glück muss man aus heutiger Sicht sagen. Denn es ist gerade diese Unangepasstheit, die Elmau – umgeben vom Bilderbuch-Alpenpanorama mit Enzian, eiszeitlichen Buckelwiesen vor dem mächtigen Wettersteingebirge – zum besten Luxushotel Deutschlands macht.


STEPHANIE: Herr Müller-Elmau, bei einem CREDUM-Heft über Leidenschaft die nächst liegende Frage gleich zuerst: Wofür brennen Sie?


D. MÜLLER-ELMAU: Für die Freiheit oder besser, für die Freiheit der Wahl. Wenn ich irgendwo angekommen bin, will ich die Freiheit haben, sofort wieder gehen zu können. Ich möchte frei entscheiden können, ob ich mich entziehen oder ob ich mich einlassen will.


“Das Schloss war für mich Feindesland, zu ruhig, zu reibungslos." Dietmar Müller-Elmau

STEPHANIE: Woher kommt dieser intensive Freiheitsdrang?


D. MÜLLER-ELMAU: Den hatte ich schon als kleines Kind, habe ihn von meiner Mutter geerbt. Sie ist in Curaçao geboren und hat die Regeln, die damals hier auf dem Schloss herrschten, als extrem eng empfunden.


STEPHANIE: Damals war Elmau noch nicht der Ort, den wir hier heute erleben.


D. MÜLLER-ELMAU: Eher genau das Gegenteil. Mein Großvater Dr. Johannes Müller hat das Schloss 1914 gebaut und 1916 als ‚Refugium weltentrückter Innerlichkeit, Gemeinschaft und Hochkultur‘ eröffnet. Von Anfang an kamen viele berühmte Musiker hierher und blieben manchmal monatelang. Bei den Konzerten durfte nicht geklatscht und beim Tanzen nach klassischer Musik nicht gesprochen werden.


STEPHANIE: Das ist dann aber nur der halbe Spaß…


D. MÜLLER-ELMAU: Musik war in Elmau Religion. In ihrem Urlaub sollten die Gäste die ‚Freiheit vom Ich‘ erleben.


STEPHANIE: Was bedeutet das?


D. MÜLLER-ELMAU: Die ‚Freiheit vom Ich‘ war das Ideal meines Großvaters. Er empfand das Ich als den Kern aller Probleme. Nur wenn einem das Ich nicht im Weg steht, ist man eins mit Gott. Aber wie erreicht man das? Wer im Urlaub entspannt und zur Ruhe kommt, der fängt früher oder später doch immer an zu grübeln, so die Theorie meines Großvaters. Deswegen sollten die Gäste klassische Musik hören, denn klassische Musik ist eine Offenbarung Gottes. Aber auch wenn die Menschen Musik hören, dann grübeln sie irgendwann trotzdem weiter. Und so kam Johannes Müller schließlich auf die Idee, den Tanz einzuführen. Tanzen ist Ekstase. Man besiegt das Ich, indem man sich auf die Musik und den Partner konzentriert. Denn wenn man dem Anderen nicht auf die Füße treten und den Rhythmus verlieren will, dann kann man nicht an sich denken.

STEPHANIE: Klingt logisch.


D. MÜLLER-ELMAU: War es, aber es war auch ein Diktat! Es gab hier viel zu viele Regeln. Alle Gäste waren schwarz-weiß gekleidet, die Tischordnung wechselte täglich und war zu respektieren. Das war nicht mein Ding. Ich will mir nicht vorschreiben lassen, wann ich mich selbst vergesse und wo. Das Schloss war für mich Feindesland, zu ruhig, zu reibungslos.


STEPHANIE: Dagegen haben Sie immer opponiert. Als Teenager sind Sie einmal bei einem Vortrag zum Sicherungskasten geschlichen und haben den Strom abgestellt. Kein Licht, kein Mikrofon.


D. MÜLLER-ELMAU: Stattdessen war Tumult im Saal! Endlich Schluss mit dieser unerträglichen Ruhe, mit dieser Einigkeit, mit diesem allgemeinen Kopfnicken. Wenn es niemanden gibt, der die Ruhe stört, kann auch niemand die Ruhe im positiven Sinne wahrnehmen.


STEPHANIE: Nach dem Abitur sind Sie erst einmal für ein Jahr gereist.


D. MÜLLER-ELMAU: Ich musste raus, wollte nachdenken. Ein Freund von mir war zu der Zeit gerade nach Südindien gezogen und bat mich, einen Mercedes-Bus und ein paar seiner Sachen von Deutschland aus nachzubringen. Er kam für den Sprit auf und erlaubte mir, mir so viel Zeit zu nehmen, wie ich wollte. Das war eine abenteuerliche Reise, die mich sehr viel gelehrt hat.


Wenn Dietmar Müller-Elmau ins Erzählen kommt, wird es spannend: Exkurse in Philosophie, Religion, Wirtschaft, gespickt mit vielen persönlichen Anekdoten. Er ist ein Suchender, ein Rastloser. Dass er dabei auch ein extrem kluger Kopf ist, zeigt sein Werdegang: Er studierte Betriebswirtschaft, Theologie, Philosophie. Dann Computer Sciences in den USA. Nach zwei Monaten war er einer der Besten in seinem Studiengang. Dabei hatte er sich das Fach nur deswegen ausgesucht, weil er von dieser Thematik am wenigsten verstand. Der 65-Jährige hatte noch nie Angst vor Herausforderungen, wohl auch, weil er die Gabe hat, im richtigen Moment seine Chancen zu ergreifen.


Als das 5-Sterne-Hotel Traube Tonbach im Schwarzwald 1986 an ihn herantrat und ihn bat, eine Gästekartei für sie zu entwickeln, sagte er nicht nein („Ich hatte eine Familie zu ernähren und brauchte das Geld“.). Das war der Beginn einer Erfolgsgeschichte, die locker ein zweites CREDUM-Interview füllen würde. In der Kurzfassung: Die Software ‚Fidelio‘ war so revolutionär und brillant aufgesetzt, dass auch Hotels in der Schweiz darauf aufmerksam wurden. Die Hoteliers machten ihm ein verlockendes Angebot, das aber nicht ohne Risiko war (viel Geld, wenn das Programm fristgerecht fertiggestellt wurde, viel Strafe, wenn nicht). Unerschrocken nahm Müller-Elmau die Herausforderung an. Mit Leidenschaft und Enthusiasmus, gepaart mit Know-how und der Gabe, groß zu denken, wurde aus der One-Man-Show bald eine Firma mit 500 Angestellten und mehr als 100 Millionen Jahresumsatz.


Zehn Jahre nach der Gründung verkaufte Müller-Elmau ‚Fidelio‘ für 55 Millionen. Gerade erst wurde die Software an Oracle verkauft – für 5,5 Milliarden Euro. Als er diese Zahlen nennt, schaue ich ganz genau hin… 55 Millionen statt 5,5 Milliarden? Autsch! Da hat er wohl zu früh verkauft! Aber Müller-Elmau verzieht keine Miene. Der Mann lebt im Jetzt, einmal erledigt, abgehakt.


STEPHANIE: Nach dem Verkauf von Fidelio hatten Sie 55 Millionen Euro in der Tasche. Genug für ein schönes Leben weit weg von diesem Tal. Trotzdem sind Sie 1998 zurück nach Elmau gegangen. Warum nur?

D. MÜLLER-ELMAU: Weil mein Vater mich gebeten hat, ihm lag Elmau sehr am Herzen: die Gebäude, die Tradition, die Musik. Da konnte ich nicht nein sagen, denn Vater war mir sehr wichtig. Zu dieser Zeit ging es dem Hotel nicht mehr so gut. Es musste dringend renoviert werden, aber die Bank wollte meinem Onkel, Dr. Mesirca, der damals - 80 Jahre alt - die Geschäfte leitete, kein Geld mehr geben.


STEPHANIE: Haben die alten Leute Ihnen bereitwillig das Zepter übergeben?


D. MÜLLER-ELMAU: Oh nein. Als ich klargemacht habe, dass ich mein Geld nur geben würde, wenn ich in Zukunft mitbestimmen dürfte – da war das eine Kriegserklärung. Und dieser Krieg wurde erbittert geführt. Am Ende landeten wir sogar vor Gericht und stritten bis zur letzten Instanz.


STEPHANIE: Aber Sie haben sich nicht beirren lassen?


D. MÜLLER-ELMAU: Natürlich nicht. Als das Gericht für mich entschied, habe ich sofort richtig losgelegt. Als Erstes wurde der Morgentanz abgeschafft.


STEPHANIE: Und Sie haben, ziemlich radikal, die großen, runden Tische im Speisesaal persönlich durchgesägt. Das muss ein Befreiungsakt gewesen sein.


D. MÜLLER-ELMAU: Ich wollte zeigen, dass die Zeiten, in denen die Tischordnung diktiert wurde, vorbei sind.

STEPHANIE: Was haben die Gäste gesagt?


D. MÜLLER-ELMAU: Die fanden das unmöglich, die Mitarbeiter auch, alle waren gegen mich.


STEPHANIE: Wie haben Sie diese Situation gelöst?


D. MÜLLER-ELMAU: Ich habe versucht, es zu ignorieren und weiter mein Ding zu machen und mich nicht allzu sehr vom Hotelalltag zerreiben zu lassen. Ich nehme mir bis heute die Freiheit, in Elmau Gast zu sein. Für alles andere gibt es einen Hoteldirektor.


STEPHANIE: Bei der Wahl Ihres Managements setzen Sie gerne auf Menschen, die aus einem anderen Land kommen. Warum?


D. MÜLLER-ELMAU: Ich bin der Meinung, dass man nur, wenn man selber fremd ist, das Besondere eines Ortes zelebrieren kann. Ich will mich in einem Hotel nicht zu Hause fühlen, sondern ich will in einem Hotel den Luxus des Fremdseins genießen.


STEPHANIE: Interessanter Ansatz, das habe ich so noch nie gehört. Und warum sollen die Hoteldirektoren keine Locals sein?


D. MÜLLER-ELMAU: Wer an einem Ort zu Hause ist, der hat einen Vorteil gegenüber dem Gast und wirkt dann leicht überheblich. Das gefällt mir nicht. Ich möchte, dass auch unsere Angestellten über die Schönheit dieses Ortes staunen und sich nicht schon lange sattgesehen haben. Deswegen setze ich auch gerne auf junge Leute.


STEPHANIE: Die sind zwar nicht unbedingt perfekt – mir wurde gestern Abend Brot und Butter zur Nachspeise serviert – aber sie sind mit vollem Elan dabei.


D. MÜLLER-ELMAU: Ich mag ihre Energie und die Euphorie, mit der sie bei der Sache sind. Dafür bekommen wir von unseren Gästen ein außerordentlich gutes Feedback. Außerdem kann man sich nur durch viele Azubis den extrem guten Personalschlüssel leisten. In Elmau kümmern sich zwei Mitarbeiter um einen Gast.


Hmmm, das hat gute und schlechte Seiten. Eine Freundin von mir will nicht mehr als Gast in Elmau sein, sie sagt: Bei dem Übernachtungspreis möchte sie kein Testkaninchen für Azubis sein. Ich sehe das etwas anders. Die Branche braucht dringend guten Nachwuchs. Es ist eine sensible Herausforderung, beide Seiten zu einem guten Ergebnis zu führen.


STEPHANIE: Ihr Haus ist für seinen entspannten Service berühmt. Aber auch immer noch für sein außergewöhnliches Kulturangebot.

D. MÜLLER-ELMAU: Für ‚Fidelio‘ hatte ich mein Philosophiestudium aufgegeben. Also fing ich an, die besten und interessantesten Philosophen und Historiker aus aller Welt nach Elmau einzuladen, um hier auf Symposien zu sprechen.


STEPHANIE: Da ging es um Richard Wagner im Dritten Reich, jüdische Geschichtsschreibung, Antiamerikanismus. Das waren alles andere als entspannte Plauderstunden. Die Feuilletons von F.A.Z. und SZ haben damals jedes Mal ausführlich berichtet.


D. MÜLLER-ELMAU: Bei Wagner gab es einen riesigen Knall. Ich habe es gewagt, den Götterheiligen der deutschen Intellektuellen in Frage zu stellen, indem ich alle wichtigen Wagnerianer und Antiwagnerianer zusammengetrommelt habe. Das war ein Novum. Endlich wurde unter diesem Dach kontrovers diskutiert und nicht mehr nur genickt. Herrlich! Aber der Meinung waren natürlich nicht alle. Der typische Elmau-Gast war damals selbstverständlich Wagner-Fan. Wer Wagner nicht liebt, der ist kein Mensch, da war man sich hier einig. Als ich zu Weihnachten nicht mehr nur klassische Musik spielen ließ, sondern auch Jazz, waren die Gäste außer sich. Viele der grauhaarigen Herrschaften verließen sogar wütend den Saal.


STEPHANIE: Sie haben also alle vergrault.


D. MÜLLER-ELMAU: Jawohl! Nur Thomas Quasthoff, der am Vortag selber bei uns aufgetreten war, der saß in der ersten Reihe und war völlig begeistert. Spätestens nach diesem Eklat setzte der große Exodus ein. Johannes Rau schrieb mir einen 17-seitigen Brief und sagte, ich würde den letzten Ort deutscher weltentrückter Innerlichkeit vernichten. Loriot, der Stammgast war und hier im alten Turmzimmer alle seine großen Filmprojekte geplant hat, kam auch nicht mehr. Ich wurde beschimpft als Amerikanist und Kapitalist. Nach zwei Jahren waren dann alle alten Gäste weg.


STEPHANIE: Ziel erreicht?


D. MÜLLER-ELMAU: Anders hätte ich es nicht ertragen. Der gute Nebeneffekt war, dass dadurch endlich Platz für ein neues Publikum war. Seither zelebrieren wir hier die Vielfalt der Welt.


STEPHANIE: Das sieht man in Elmau ganz besonders in der Architektur. Um ehrlich zu sein, passt hier nichts so richtig zusammen. Das fängt bei der Fassade an und hört hier, bei der Gestaltung des Saales, auf. Nicht viele Interieur-Designer würden zum Beispiel dieses orangefarbene Sofa zu dem senfgelben Sessel kombinieren. Und trotzdem fühlt man sich hier extrem wohl!


D. MÜLLER-ELMAU: Absolut richtig. Die meisten Innenarchitekten schlagen die Hände über dem Kopf zusammen, wenn sie zum ersten Mal hier reinkommen. Und nach zehn Minuten sagen sie dann: „Wow, irre!“


STEPHANIE: Woran liegt das?


D. MÜLLER-ELMAU: Ich widerspreche mir ständig selber, nichts ist aus einem Guss. Das ist meine Art, die Dinge zu sehen und deswegen fühlen sich hier so viele unterschiedliche Menschen wohl: von Präsident Obama auf dem G7-Gipfel bis zum Schreiner, von der alten Oma bis zu den kleinen Kindern. Meine Architektur hat Brüche und ist damit zutiefst menschlich. Wenn das Umfeld perfekt ist, dann ist man ständig mit seiner eigenen Unzulänglichkeit konfrontiert.

STEPHANIE: Schon in den ersten Jahren ließen Sie einiges umgestalten, haben einen Indoor-Pool und einen Literatursaal bauen lassen. Aber erst nach dem 7. August 2005, nachdem ein schrecklicher Brand das Hotel fast vollständig zerstört hatte, konnten Sie Ihre Visionen richtig verwirklichen.


D. MÜLLER-ELMAU: Ausgerechnet meinem ärgsten Feind, meinem Onkel Dr. Mesirca, habe ich das zu verdanken. Er hatte nachts durch seine Heizdecke einen Kurzschluss verursacht und damit das Feuer ausgelöst. Ein Alptraum, schließlich waren wir an dem Tag fast ausgebucht. Aber als der letzte Gast gerettet war und wie durch ein Wunder niemand zu Schaden gekommen war, wusste ich: Das ist meine ganz große Chance!


STEPHANIE: Das Schloss wurde damals zu zwei Dritteln abgerissen. Ich kann mich an die Bilder erinnern. Das Fernsehen war die ganze Zeit dabei und berichtete.


D. MÜLLER-ELMAU: Ja, das mediale Interesse war groß. Schon am Tag nach dem Brand riefen zig Künstler an und boten ihre Hilfe an.


STEPHANIE: Es wurde ein großes Konzert in München, in der Philharmonie am Gasteig, organisiert.


D. MÜLLER-ELMAU: Das war eine riesige Hilfe. Schließlich hatte ich kein Hotel mehr, aber 450 Angestellte, die ich weiterbezahlen musste, wenn ich sie nicht verlieren wollte. Der Schaden belief sich auf 45 Millionen.


STEPHANIE: Hat die Versicherung klaglos bezahlt?


D. MÜLLER-ELMAU: Das ist eine Geschichte für sich. Erst tat man so, als müsste ich mir nicht die geringsten Sorgen machen. Und am Ende gab es dann doch ein ziemliches Gerangel. Mein großes Glück war es, dass ich auf den Rat eines Gastes, der in der Brandnacht dabei war, gehört habe und mir unabhängige Gutachter, die nicht aus Bayern kamen, gesucht habe.


STEPHANIE: Warum war der Brand für Sie eine große Chance?


D. MÜLLER-ELMAU: Ich konnte die bis dato winzigen Zimmer endlich zu großen Suiten umbauen und alles großzügig nach meinen Vorstellungen gestalten.

STEPHANIE: Ihre Architektur-Ideen sind nicht gerade zurückhaltend. Insbesondere der Anbau, ein Retreat mit 47 Suiten, 150 Meter vom Schloss entfernt, ist recht groß geraten.


D. MÜLLER-ELMAU: Meiner Meinung nach sollte sich Architektur nicht in die Landschaft einfügen. Sie muss sich dagegen behaupten. Schloss Elmau und ganz besonders der Anbau sind sehr klotzig. Ich habe das bewusst so gestaltet. Diese Architektur soll helfen, die ganze Schönheit des Tals sichtbar zu machen. Wie schön ein Ort ist, erkennt man oft erst, wenn ihm etwas gegenübersteht, was dagegen spricht. Das Mandarin Oriental in Bangkok ist da ein gutes Beispiel.


STEPHANIE: Wenn der dreckige Fluss und das Chaos der Stadt drum herum nicht wären, wäre das Hotel nur halb so schön?


D. MÜLLER-ELMAU: So ist es. Eine andere Inspiration war für mich das Schachenschloss.


STEPHANIE: Das kleine, wundervolle Lustschloss, das der Märchenkönig Ludwig nur ein paar Kilometer von hier entfernt am Fuß des Wettersteingebirges bauen ließ.


D. MÜLLER-ELMAU: Es ist eines der spektakulärsten Häuser, die ich kenne. An diesem Platz, auf 1866 Metern Höhe, sowas zu bauen, das ist Freiheit. Damit dem kleinen Schlösschen in den Winterstürmen nicht das Dach wegweht, wurde ein riesiger Kronleuchter als Gegengewicht in die Halle gehängt, der das Dach quasi festhält. Von außen erinnert das Haus an eine schweizerische Berghütte, das Untergeschoss ist ganz bodenständig eingerichtet, aber im ersten Obergeschoss wartet ein furioser orientalischer Salon auf den Besucher. Völlig entwurzelt. Das ist Freiheit! Dort habe ich begriffen, dass die Schönheit der Landschaft erst durch den Widerspruch sichtbar wird.


STEPHANIE: In Berlin haben Sie vor kurzem den ersten Elmau-Ableger eröffnet, das ‚Orania‘ mitten in Kreuzberg. Das Hotel steht auch in einem krassen Widerspruch zu seiner Umgebung. Drinnen feinster Luxus und erstklassiger Service, eine Oase des guten Essens, der Entspannung und grandioser Musikunterhaltung. Draußen vor dem Hotel, auf der Parkbank, sitzen Punks mit ihren Hunden und essen Döner.

D. MÜLLER-ELMAU: Ich liebe diesen Kontrast und bin selber ganz überrascht, wie gut das Konzept funktioniert. Die Anwohner waren in den ersten Monaten nicht gerade unsere Freunde. Wir sind schrecklich angefeindet worden und hatten ständig Ärger. Aber mittlerweile hat sich die Situation beruhigt.


STEPHANIE: Auch Vicco von Bülow hat sich irgendwann mit Ihrem Haus ausgesöhnt. Im Buchladen hängt an der Wand eine Zeichnung von Loriot, die Schloss Elmau gewidmet ist. Wann ist er wieder gekommen?


D. MÜLLER-ELMAU: Das war sehr spät, lange nach dem Neubau. Da war er schon 80 Jahre alt. Er kam, weil er gehört hatte, dass es hier so schön geworden sei. Er fühlte sich superwohl und lief die ganzen Tage nur im Bademantel herum. An besagter Zeichnung hat er übrigens monatelang gearbeitet.


STEPHANIE: Das Bild zeigt einen seiner berühmten ‚Knollennasenkellner‘, der auf dem Rücken einen Elefanten trägt. Der Elefant ist das heimliche Maskottchen von Elmau, er ist überall auf Kissen und an den Wänden zu sehen.


D. MÜLLER-ELMAU: Unter das Bild hat Loriot geschrieben: „Hier bist du ein geliebter Gast, auch wenn du keinen Rüssel hast.“ Damit hat Loriot den Unterschied zwischen dem alten und dem neuen Elmau brillant auf den Punkt gebracht: Früher waren hier alle Gleichgesinnte. Und jetzt geht es um den Einzelnen.

Drei Stunden hat unser Gespräch gedauert – jetzt muss ich erst einmal meine Gedanken sortieren, das war viel Input. Ich bin der Meinung, dass besondere Projekte außergewöhnliche Menschen brauchen, die auch dazu stehen, dass sie polarisieren. Dietmar Müller-Elmau ist so ein Mensch: you love him or you hate him. Für mich zählt am Ende das Ergebnis – kein Hotel in Deutschland hat es so drauf wie Schloss Elmau, der Erfolg gibt ihm Recht. Chapeau!

445 Ansichten2 Kommentare

Ähnliche Beiträge

Alle ansehen
bottom of page