Botswana, die Schatzkammer Afrikas
- selingshausen
- 12. Aug.
- 9 Min. Lesezeit

Zuverlässig surrt die kleine Cessna durch den mittagsblauen Himmel. Kapitän Mike, braungebrannt im olivfarbenen Hemd und mit Fliegerbrille, nimmt Kurs nach Nordwest, Richtung Okavangodelta. 800 Meter unter uns tanzt der Schatten der einmotorigen Maschine über wogende Wiesen und sandige Ebenen. Schon lange haben wir keine Siedlung mehr gesehen. Einsam scheint es hier unter uns dennoch nicht zu sein. «Da sind ’ne ganze Menge Elefanten-Highways», sagt Mike und deutet grinsend aus dem Fenster. Die Trampelpfade der Wildtiere sind aus der Luft als feine, dünne Linien in der Savanne zu erkennen. An Wasserlöchern oder kleinen Hügeln kommen sie zusammen und führen dann weiter, manchmal im Zickzack, manchmal geradeaus. Der Blick aus dem Flugzeugfenster erinnert mich an ein filigranes Nervensystem. Aber wo sind die Bewohner dieser wunderschönen Wildnis? «Wenn die Sonne tagsüber hochsteht, verstecken sie sich», erklärt Mike.

«Seht ihr den dunklen Punkt da in dem See, der aussieht wie eine Bohne? Das ist ein Flusspferd.» Gaby, Freundin und Journalistin, die mich zusammen mit meiner Kollegin Annette aus den USA auf diese Reise nach Botswana begleitet, ist völlig aus dem Häuschen. Sie macht dutzende Fotos. Es ist ihre erste große Safari – und ihr erstes Hippo. «Meint ihr, wir werden noch einmal eins zu Gesicht bekommen?», fragt sie und dreht auch noch ein Handyvideo von dem winzigen schwarzen Pünktchen. Annette und ich müssen schmunzeln. Als Reisedesignerinnen haben wir schon ein paar hundert Routings durch Afrika geplant und vorab für unsere Weltenbummler erprobt. Für mich ist diese Reise nach Botswana also ein «Fresh-up». Ich kenne die Region ganz gut. Trotzdem ist es wichtig, immer wieder einmal vor Ort zu sein. In den vergangenen Jahren haben viele neue Lodges eröffnet, bestehende haben den Besitzer gewechselt. Auf den Profibildern im Internet sieht jeder Ort traumhaft aus, aber wie es wirklich ist, kann man nur bei einem persönlichen Check erfahren. Die Optik ist das eine. Mindestens so wichtig wie das Interieur sind der Service und das kulinarische Angebot; außerdem suche ich die besten Guides für meine anspruchsvollen Reisenden aus. Dass deren Erwartungen hoch sind, ist nur verständlich. Schließlich kann eine Übernachtung pro Person in der Hochsaison schnell mehr als 3000 Euro kosten. Das ist eine Ansage.
Was die Destination Botswana so besonders macht, ist der exklusive Zugang zu einer fast unberührten Natur und einem unfassbaren Wildlife. Während im Sommer im Krüger- Nationalpark oder in der Masai Mara oft Dutzende Jeeps um die beste Position an einem Wasserloch kämpfen, sieht man hier über Stunden keinen Menschen. Wir können es kaum erwarten! Nachdem Kapitän Mike uns erstaunlich sanft auf der ruckeligen Lehmpiste von Duba abgesetzt hat, machen wir uns nur kurz frisch und starten sofort zum ersten «Game-Drive» (deutsch: Pirschfahrt). Mit Flame, unserem Guide, fahren wir der niedrigstehenden Sonne entgegen. Schon unser Jeep ist ein wildes Tier:
Der Toyota Land Cruiser fährt durch abenteuerliche Schlaglöcher und taucht bis über die Motorhaube in Flüsse ab und wieder auf. Unsere erste Safaribegegnung hat schon fast offiziellen Charakter: Ein Sattelstorchpärchen stakst vor uns durch das Schilf und positioniert sich dann mit etwas Abstand neben dem Auto. Wie zwei Butler stehen die Vögel da und lassen uns ihre Schönheit bewundern. Es sieht aus, als wären unterhalb der Augen, über dem schwarzen Schnabel, Lederstreifen in Rot und Gelb aufgenäht. «Das sind doch die deutschen Farben», sagt Flame und ist darüber mindestens so begeistert wie wir. Die Flagge kennt er vom Fußball.

Nach diesem netten Willkommen beginnt die große Naturwunder- Show. Auftritt von links: Eine Warzenschweinfamilie saust mit wackelnden Schwänzen über den Weg. Mit ihrer Hektik schreckt sie eine Herde von Impala-Antilopen auf, die eben noch vorsichtig die Blätter von einem Strauch gezupft haben. Auch ein Kudu reckt neugierig seinen Hals. «Was war da los?», scheint er zu fragen und sieht sich um. Dass 200 Meter weiter ein Elefantenbulle grast, interessiert ihn nicht, also frisst er weiter. Aber Flame hat ein ganz anderes Ziel ausgemacht. Einen hohen Baum, von dem lange Früchte hängen, die locker so groß sind wie die Hausmacher-Salami bei Metzger Grass zu Hause bei mir in der Wetterau. Das ist ein «Sausage-Tree», ein «Wurstbaum», erklärt er. Na, das passt ja! Aber auch um diese sonderlichen Früchte geht es Flame nicht. Mit seinen geschulten Augen sieht er mehr als wir. Oben, auf einem dicken Ast, liegt gut getarnt eine Leopardin und döst vor sich hin. Sie scheint tiefenentspannt, denn sie hat alles, was sie braucht: einen sicheren Schlafplatz, Schatten und sogar Proviant. «Seht ihr da die Knochen und Fellreste?», fragt Flame und reicht mir das Fernglas. «Gestern hat sie ein Impala erlegt und ihre Beute nach oben geschafft. Da ist sie vor anderen hungrigen Fressfeinden sicher.» Wir bewundern diese elegante Schönheit, doch dann knistert das Funkgerät. Ein Ranger-Kollege meldet sich. Er hat unweit von hier einen Löwen entdeckt, den wir natürlich auch nicht verpassen wollen. Also geht es weiter. Schwer zu finden ist der König der Tiere nicht. Er hat es sich mitten auf dem sandigen Weg bequem gemacht und streckt faul alle viere von sich. Flame fährt bis auf wenige Meter an das Raubtier heran und stellt den Motor ab.
«Ich hoffe, der ist satt», raunt Gaby mir zu. «Sonst springt der mit einem Satz ins Auto, und dann war das meine erste und letzte Safari.» Ich habe den Eindruck,dass ich ihren Herzschlag hören kann, so aufgeregt ist sie. Auch für mich war es unglaublich eindrucksvoll, als ich zum ersten Mal Auge in Auge mit den wilden Tieren war, die ich vorher nur aus dem Zoo kannte. «Solange du bei uns in der Kiste sitzen bleibst, bist du sicher. Der mag kein Dosenfutter», beruhige ich Gaby. Die lächelt etwas schief, wagt aber ein erstes Selfie mit dem schläfrigen Löwen. Obwohl ich schon so viele Raubkatzen gesehen habe, bin ich immer wieder überwältigt von dieser Kraft und der Eleganz. Gleichzeitig fasziniert mich, wie ähnlich die Tiere doch unseren Stubentigern sind. Dieser Kater hier schleckt sich die Pfote sauber, reibt damit über Schnauze und Augen, steht kurz auf und lässt sich wieder fallen. Das ist offenbar schon das Ende der Vorstellung. Mehr Adrenalin fordert die nächste Begegnung. Unser Motorengeräusch hat eine Büffelherde gestört, die in einem Wasserloch ein Bad nimmt. Die Tiere mit den gewaltigen Hörnern setzen sich mit lautem Getrampel in Bewegung. Die Erde bebt, Wasser spritzt, Staub wirbelt auf. Das sind echte Maschinen, die nicht lange nachdenken, bevor sie attackieren. Kein Wunder, dass sie zu den gefährlichsten Tieren Afrikas zählen. Aber nachdem wir ruhig im Auto sitzen bleiben, kommt die Gruppe schnell wieder

zur Ruhe und watet zurück ins Wasser. Unglaublich! Jetzt fehlt uns nur noch das Nashorn, dann haben wir die sogenannten «Big Five» Afrikas schon gesehen. «Ich bin mir ziemlich sicher, dass ihr in den kommenden zwei Wochen in Botswana ein Rhino treffen werdet», sagt uns Flame. Eine gute Nachricht! Viele Jahre wurden diese «Einhörner» von Trophäenjägern legal bejagt. 1990 stellte man dann erschüttert fest: Die Tiere waren in Botswana ausgerottet. Dass sie heute wieder in der Region leben, ist nicht nur den Regierungsbehörden und lokalen Initiativen zu verdanken, sondern auch der Great Plains Conservation, in deren wunderbaren Lodges wir in den kommenden Tagen wohnen werden. Die bekannten Naturfilmer und Mitgründer, Beverly und Dereck Joubert, halfen finanziell und logistisch bei der Umsiedlung der drei Tonnen schweren Tiere von Südafrika nach Botswana und unterstützen das Projekt – nicht zuletzt durch die Einnahmen aus den Lodges – auch heute noch. Wie schön, dass wir als Touristen einen so sinnvollen Beitrag zum Artenschutz leisten! Das Okavangodelta ist ein einzigartiges Tierparadies. Vor allem jetzt im Frühjahr, wenn das hohe Gras satt und grün leuchtet, fühlt es sich an wie ein Kurztrip direkt in den Garten Eden. Am Ende der Regenzeit kommen dann weitere Wassermassen aus den Flüssen im Hochland Angolas in der sandigen Ebene von Botswana an und überschwemmen das 15.000 Quadratkilometer große Gebiet. Die rund zehn Milliarden Kubikmeter verteilen sich in einem fächerförmigen Kanalsystem, stauen sich auf und bilden Lagunen und neue Inseln. In der Kalahari-Wüste ist dann Endstation. Anders als die meisten Wasserläufe mündet der Okavango nicht in den Ozean, sondern verdunstet im Landesinneren.

Wenn schließlich zum Herbst hin das Wasser knapp wird und die Vegetation vertrocknet, tummeln sich die Tiere in Scharen an den verbliebenen Wasserstellen. Ein einzigartiges Schauspiel, bei dem alle zusammenrücken müssen. Das habe ich bei meiner letzten Reise nach Botswana erlebt: Giraffen, Zebras, Antilopen und mittendrin ein gut genährtes, sehr zufriedenes Krokodil. Anders als jetzt, fühlt man sich dann nicht mehr wie bei Adam und Eva zu Hause, sondern eher wie bei einem Castingaufruf für die Arche Noah. Zwei Tage bleiben wir in Duba, dann reisen wir mit dem Buschflugzeug und später mit dem Helikopter weiter. Auf unserer Liste stehen insgesamt neun Lodges, die wir besuchen wollen. Das bedeutet: Safari XXL. Üblicherweise plant man einen Trip mit sechs bis acht Übernachtungen mit jeweils drei Stopps. In Botswana sieht man so den trockenen Westen, das Okavangodelta, die außergewöhnliche Kalahariwüste im Süden und macht zum Auftakt – wenn gewünscht – noch einen Abstecher zu den berühmten Victoriawasserfällen. Der Tagesablauf wird bei jeder Safari von der Sonne diktiert: Aufstehen um fünf Uhr, um in der Morgendämmerung mit einem Kaffee to go die ersten Tiere zu beobachten. Dann Buschfrühstück, Rückkehr in die Lodge, Zeit zum Ausruhen und Mittagessen, um 16:30 Uhr High Tea, 17:00 Uhr zweiter Game-Drive und gegen 20:00 Uhr Abendessen. Die Tage vergehen gemächlich und dennoch und dennoch ist es keine Sekunde langweilig. Wir sind erstaunt, wie schnell wir uns an
diese regelmäßigen Mahlzeiten gewöhnen und wie leidenschaftlich wir dabei über die Kochkunst der jeweiligen Chefs diskutieren. Besonders in «TG», den Koch im Selinda Camp, sind wir alle gleichermaßen schockverliebt. Zu jedem Gang schlendert er mit coolem schwarzem Koch-Shirt und einem breiten Grinsen in unser Zelt und erklärt mit Hingabe, wie er die erstaunlichsten Aromen kombiniert. Sterneküche in der Wildnis – das ist unglaublich! Schließlich darf man nicht vergessen, dass jedes Salatblatt und jedes Gramm Salz mithilfe einer komplizierten Logistik hierhergebracht werden müssen. Neben Selinda und TGs Küchenzauberei hat auch Tuludi Camp mich besonders begeistert. Das Interieur ist erfrischend, witzig und hat großen Charme.

Ich liebe das Konzert der Frösche und Zikaden beim Einschlafen und mag den Nervenkitzel, wenn nachts die Hyänen vor dem Zelt so laut lachen, als säßen sie neben meinem Bett. Aber das wirklich Herausragende hier sind das Team von Managerin NDY (gesprochen Andy) und die Herzenswärme, mit der ihre Leute uns umsorgen. Das Camp gehört zur Natural- Selection-Gruppe, die einst Colin Bell gegründet hat. Colin kenne ich schon seit Jahrzehnten. Er ist eine Legende in der Touristikbranche, und ich erzähle immer gerne seine Geschichte, wie er als junger Kerl einem Löwen das erbeutete Filetstück geklaut hat. Mit gut einem Dutzend Leuten haben sie sich in einer langen Reihe aufgestellt, untergehakt und sind selbstbewusst auf die völlig verdutzte Raubkatze zugelaufen, sodass diese die Flucht ergriffen hat. Das abendliche Barbecue der Truppe war sozusagen Farm-totable. Was für ein Typ! Angenehm verrückt und angenehm authentisch. Das spiegelt sich auch in seinen Lodges wider. Natural Selection fördert die lokalen Gemeinschaften und rekrutiert Personal aus den umliegenden Dörfern. Sonnenkollektoren versorgen das Camp mit Energie, auf Plastikverpackungen wird, so gut es geht, verzichtet, der Abfall wird kompostiert und an Kleinbauern verschenkt. Außerdem fließen 1,5 Prozent der Einnahmen in den Tierschutz. Das Konzept ist nicht ganz uneigennützig, denn meistens sind es die Communitys, die das Land an die Lodgebetreiber für 15 Jahre verpachten. Nach Ablauf dieser Zeit werden die Karten neu gemischt. Wer sich für die Menschen und die Natur einsetzt, darf bleiben. Ich mag das Konzept! Ganz generell scheint hier in Botswana einiges besser zu laufen als in vielen anderen afrikanischen Ländern. Die Korruption hält sich in Grenzen. Im weltweiten «Corruption Perception Index» belegt Botswana den 34. Platz und schneidet damit besser ab als Polen, Spanien und Italien. Größte Einnahmequelle des Landes sind die Diamanten. 2022 betrug die Produktion 24 Millionen Karat – der größte Teil des Geldes fließt in Bildung. Medikamente und die medizinische Versorgung im Krankenhaus sind kostenlos. Reich an Diamanten und an atemberaubender Natur – Botswana ist eine echte Schatzkammer. Was die Fauna betrifft, so ist das Land jeden Tag bereit, eine neue Schatulle für uns zu öffnen. Aus einem grasenden Elefanten werden 50 badende Elefanten mit Babys. Wir sehen seltene Wildhunde und eine neugierige Hyäne, die an unserem Autoreifen knabbert. Und auf magische Weise scheinen sich die Erlebnisse immer noch zu steigern: Während der erste Löwe ein fauler Einzelgänger ist, dürfen wir kurze Zeit später einem frisch verliebten Pärchen bei der Paarung zusehen (Das Spektakel dauert keine zehn Sekunden, wiederholt sich dafüraber durchschnittlich alle 15 Minuten Tag und Nacht bis zu 300-mal in der ‹heißen› Phase).
Auch in puncto Flusspferde werden wir nicht enttäuscht. In gefühlt jedem größeren Tümpel ist einer dieser Riesensäuger zu Hause. Den ganzen Tag über hocken sie da im Wasser, um ihre empfindliche Haut vor Sonnenbrand zu schützen; nachts fressen sie gemütlich bis zu 50 Kilogramm Gras beim Landgang. Am Abend vor unserer Abfahrt parkt unser Guide Tony den Jeep unmittelbar neben einem Wasserloch. Gaby, die mittlerweile ihre knöchelhohen Trekkingschuhe gegen Flipflops und die lange Hose gegen legere Shorts getauscht hat, steht angstfrei am Ufer und zählt die Augenpaare, die ihr entgegenschauen.18 Nilpferde mit drei Jungen! Wir prosten ihnen zu und genießen die magische Lichtstimmung. Die Kamera liegt auf der Motorhaube. Es gibt Momente, die kann man nicht fotografieren – die muss man in sein Herz aufnehmen.
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