Sizilien hat sein altes, eher zwielichtiges Image längst abgelegt und wandelt sich immer mehr zum perfekten Reiseziel auch für anspruchsvolle Weltenbummler. Nicht zuletzt, weil immer mehr Kreative den kleinen Zipfel da unten am Stiefel neu entdecken und hier ihre Träume verwirklichen. Auf Entdeckertour mit Reisedesignerin Stephanie Elingshausen zu zauberhaften Hideaways, Wein-Pionieren, den bunten Treppen von Noto und einer Kreativen, die mit ihren traditionellen Basttaschen die internationale Modewelt erobert.
„Und jetzt: Augen zu!“ Angelo Piraino hat uns am steinernen Treppenaufgang neben einem üppig blühenden Oleander postiert und bringt sich in Stellung. Der Mann – taillierter, dunkelblauer Anzug, braune Locken – lächelt, aber er meint es ernst. „Stephanie, Occhi chiusi!“ „Augen schliessen!“, ermahnt er mich und ich tue ihm den Gefallen. Nach einem kurzen Moment der Stille verbreitet sich ein herrlich frischer Zitronenduft. Gleichzeitig setzt leises Summen ein, ein Taschenventilator wirbelt uns kühlende Luft zu, dann klingelt ein Glöckchen und wir dürfen die Augen wieder öffnen. „Benvenuti alla Villa Igiea“, ruft Angelo feierlich und nimmt mich mit auf eine Zeitreise in die Geschichte dieses altehrwürdigen Grandhotels. Mit ausschweifenden Gesten erzählt er von bunt bemalten Eselskarren, die einst bimmelnd vorbeifuhren, Zitronenhainen, die alle Strassen zierten, von rauschenden Ballnächten während der Belle Époque und der jungen Hotelchefin Donna Franca, die damals mit ihrer Eleganz ganz Palermo verzauberte. Und er nimmt uns mit in die 1960er-Jahre, als Alain Delon und Claudia Cardinale nach ihrem Dreh zu „Der Leopard“ hier im Park entspannten. Genau dorthin bringt uns Angelo am Ende seiner Hotelführung, und wir geniessen den Sonnenuntergang und den Blick auf den Yachthafen. Der Kellner serviert einen Gin-Cocktail, der erst veilchenblau im Glas schimmert, dann die Farbe wechselt und rosa wird. Wow! Wie kommt das denn? „Ganz ohne Chemie“, erklärt Angelo. „Wir verwenden Blautee aus Schmetterlingserbse“. Aha, interessant! Genau wie die Deko: Über unseren Köpfen, in den Zweigen eines stacheligen Baumes, wiegen sich weisse Wattebäuschchen im Wind. „Ist auch Natur“, klärt mich Angelo auf. „Das sind Kapok, die Früchte des Wollbaumes.“ Schon wieder was gelernt, was es nicht alles gibt! Genau diese Momente sind es, die mich beim Reisen so faszinieren. Es ist noch keine fünf Stunden her, dass ich vom Flughafen in Frankfurt gestartet bin und schon bin ich vollständig in diese wunderbare neue Welt eingetaucht.
Vor meiner Kollegin und mir liegt eine siebentägige Sizilien-Rundreise. Mit dem Auto werden wir die Insel erkunden, charmante neue Boutiquehotels und Hideaways testen, unsere Guides treffen und mit ihnen neue Ideen austüfteln, um die Rundreisen über die Insel noch persönlicher und aufregender für unsere Gäste zu gestalten. Für mich als Reisedesignerin sind diese Erfahrungen vor Ort das Herzstück meines Jobs. Unsere Kunden von C&M Travel sind so anspruchsvoll wie wir. Beraten wird nicht mit Hilfe von Dr. Google oder einem Reisekatalog, sondern wir empfehlen möglichst nur, was wir persönlich kennen und für gut befunden haben. Mein letzter Sizilienbesuch ist sechs Jahre her. Zeit für ein Update – zumal in den vergangenen Monaten erstaunlich viele neue Hotels auf der Insel eröffnet haben! Die Villa Igiea gehört dazu. Einige Suiten sind noch nicht ganz fertig, im Hintergrund wird eifrig daran gearbeitet und eingerichtet, aber davon bekommt der Gast nichts mit. Im Hauptbereich sind alle Zimmer abgenommen, und es herrscht eine ruhige und stilvolle Atmosphäre im ganzen Haus.
Das kann man von einem Rocco-Forte-Hotel auch erwarten, denken Sie? Dafür muss man nicht vor Ort sein? Das stimmt. Was man aber aus Hochglanzbroschüren nicht ablesen kann, ist die Seele eines Hauses. Der Service, die Herzlichkeit, die gesamte Stimmung im Hotel und auch das Umfeld. Ein wichtiges Detail, das ich erst vor Ort bemerke, ist, dass die Villa Igiea durch Hafengebäude von der Stadt getrennt ist. Abends spontan loslaufen und durch die kleinen Strassen der Altstadt flanieren, das geht so ohne weiteres nicht. Das Hotel ist eher eine ruhige Oase nahe der turbulenten Grossstadt.
Am nächsten Morgen geht es auf Stadterkundung. Vor 20 Jahren hätte ich nur Kunden mit starken Nerven nach Palermo geschickt und ihnen geraten: „Haltet eure Handtaschen fest!“ Das ist mittlerweile nicht mehr nötig. Im Gegenteil. Während Palermo früher jährlich bis zu 300 Mordopfer zu beklagen hatte und als „Schiessstand der Cosa-Nostra“ bezeichnet wurde, gehört die Stadt heute zu den sichersten Orten Italiens. Im schicken Mailand werden doppelt so viele Straftaten registriert wie hier. Die Mafia ist zwar nicht vollständig verdrängt, aber beherrscht die Stadt nicht einmal annähernd so stark wie früher. Zu verdanken ist das der Repressionsoffensive des Staates nach der Ermordung des berühmten Richters und Mafiajägers Falcone, aber auch Bürgermeister Orlando, der den zivilen Widerstand gegen die Clans organisiert hat. Er leitete den „Frühling von Palermo“ ein: Schummerige Gassen wurden beleuchtet, Privatleute fingen an, baufällige Palazzi und Kirchen zu restaurieren, Studenten organisierten die Aktion gegen Schutzgelderpressung. In der Kampagne ‚Pago chi non paga‘ (‚Ich zahle die, die nicht zahlen’), können sich Geschäfte, Bars und Restaurants eintragen, die öffentlich gegen die Mafia Stellung beziehen. Coole Idee! Mit dem Rückgang der Kriminalität ist Palermo zu neuem Leben erwacht, das kulturelle Land blüht auf, immer mehr Kreative machen sich mit ihren Ideen selbstständig. Von diesem neuen Schwung profitiert die ganze Insel.
Eine von denen, die sich trauen, ihren Traum zu leben, ist Schmuckdesignerin Nadia Fallica. Sie empfängt uns ganz unkompliziert zu Hause, in ihrer traumhaften Wohnung direkt an der Oper, über den Dächern der Stadt. Geranien blühen vor den weit geöffneten Fenstern, auf dem Esstisch liegen ihre filigranen Stücke. Sie bemalt alte, handgefertigte sizilianische Spitze mit Goldfarbe und besetzt sie mit Edelsteinen und Perlen. „Ursprünglich war das nur ein Hobby“, sagt Nadia. „Ich habe Ohrringe und Armbänder für mich und meine Freundinnen gemacht. Eine von ihnen ist dann damit nach England gereist.“ Heute tragen die englischen Royals Nadias Preziosen. Herzogin Sarah Ferguson und ihre Töchter sind echte Fans. Ich jetzt auch! Eine schöne kleine Entdeckung. Wir verabreden, dass ich meine Weltenbummlerinnen zu Nadia zu Besuch schicken darf.
Anschliessend schlendern wir durch die Strassen, von einer opulenten Sehenswürdigkeit zur anderen: Oper, Theater, Palazzi, Kirchen, Kirchen, Kirchen. Rund 300 hat die Stadt, und viele dieser Gotteshäuser sind Zeugnisse der bewegten Geschichte der Insel. Auf Sizilien hatten in früheren Zeiten alle Grossmächte ein Auge geworfen: die Griechen, die Byzantiner, die Römer, die Normannen … alle waren hier, brachten ihre Kultur mit und verewigten sich mit grossartigen Bauwerken. Da wurde geklotzt und nicht gekleckert, die ganze Altstadt ist wie ein einziges Freilichtmuseum.
„Tututut“, an der Kathedrale Maria Santissima Assunta überholt uns ein hellblaues, dreirädriges Fahrzeug. „Ist doch viel zu heiss zum Laufen! Kommt, ich fahre euch!“, ruft uns der Fahrer fröhlich zu. Recht hat er, bei 38 Grad hat hier bereits das Deo versagt und mein Blick hoch auf den Berg schien ziemlich verzweifelt. Spontan steigen wir auf die Rückbank des lustigen Gefährtes. Sie nennen es hier das ‚Ape’ (ital. die Biene), eine Art Motorroller mit drei Rädern und zwei Sitzbänken. Jetzt knattern wir mit Francesco durch die Weltkulturerbestadt. Der Mann gehört selber auch auf die Liste der Sehenswürdigkeiten!
Erstaunlicherweise passen wir durch die engsten Gassen und schlängeln uns sogar über den Wochenmarkt, vorbei an intensiv duftenden Tomaten, runden Auberginen, die gross sind wie Handbälle, Bergen von Granatäpfeln, Orangen, Zitronen. Francesco hupt, winkt, ruft Begrüssungen, ein Mann schenkt uns im Vorbeifahren Pistazienkekse. „Ich bin wie der Papst in seinem Papamobil“, erklärt uns Francesco ausgelassen mit Händen und Füssen, er spricht kein Englisch, wir kaum Italienisch. Trotzdem unterhält er uns ganz hervorragend.
Am nächsten Morgen kehren wir der Stadt den Rücken und fahren in Richtung Süden. Das Verdura Resort ist das nächste Etappenziel – eine luxuriöse Hotelanlage am Meer mit gleich drei eigenen Golfplätzen und einem riesigen Spa. Hier wurde an alles gedacht: Grosszügige Zimmer und Suiten, tolles Essen und am Strand ein komplettes Wassersport-Center mit dem passenden Equipment für Gross und Klein. Gerade erst sind ausserdem 20 Villen fertig geworden, in denen die Gäste mit dem Bedürfnis nach mehr Privatsphäre und eigenem Pool glücklich werden.
Auf der Fahrt machen wir einen kleinen Abstecher nach Gibellina, dem grössten Landschaftskunstwerk Europas. Heute ist dieser Ort fast vergessen. So vergessen, dass wir die einzigen Besucher sind, die an diesem Mittag das 400 x 300 Meter grosse Stelenfeld aus Beton besuchen. Aus der Ferne sieht es aus, als sei ein gigantisches grau-weisses Tuch auf dem Berghang ausgebreitet worden. Unwillkürlich denke ich an ein Leichentuch und muss schlucken. Schliesslich liegen unter dem Monument die Reste einer ganzen kleinen Stadt. Am 15. Januar 1968 erschütterte ein schweres Erdbeben das Belice-Tal. 100.000 Menschen wurden damals in der Region obdachlos, Hunderte kamen ums Leben. Das mittelalterliche Bauerndorf Gibellina wurde so stark zerstört, dass man beschloss, es aufzugeben. 13 Kilometer weiter westlich, auf einer Ebene, wurde neu gebaut. Der damalige Bürgermeister Ludovico Corrao – offenbar ein ziemlich exzentrischer aber auch überzeugungsstarker Mann – hatte viele Freunde in der Kunstszene. Also lud er die europäische Avantgarde, darunter auch Joseph Beuys ein, ihre Ideen beim Neubau von Nueva Gibellina einfliessen zu lassen. Und auch für das Ruinenfeld hatte er einen Plan: Er wollte der Welt zeigen, wie Kunst Wunden heilen kann. So wurde der gigantische Entwurf des Künstlers Alberto Burri umgesetzt und unter einer dicken Zementschicht die Trümmer der Häuserruinen begraben.
Als wir das Kunstwerk erreichen, bin ich überrascht, dass es nur etwa 1,50 Meter hoch ist. Nie verliert man in diesem Labyrinth ganz die Orientierung. Während ich ziellos durch die Gänge schlendere, höre ich, wie die kleinen Kiesel unter meinen Schritten knirschen. Ansonsten ist es ungewöhnlich still. Keine summenden Insekten, kein Vogelzwitschern, dafür immer neue, verwirrend schöne Perspektiven über das Werk und die hügelige Landschaft, die es umgibt. Was wohl die ehemaligen Bewohner von Gibellina empfinden, wenn sie diesen Ort besuchen.
Beeindruckt und auch ein bisschen benommen, machen wir uns auf die Weiterfahrt. Unglaublich, dass unser Reiseführer kein Wort über Gibellina verliert! Ich bin mir sicher, das wird nicht mehr lange so bleiben. Wenn die Selfie-Generation erst einmal die besondere Atmosphäre dieses Ortes entdeckt hat, wird es hier voll. Ebenfalls eine erstaunliche Entdeckung ist Selinunt. Zwar ist der archäologische Park nicht mehr ganz unbekannt, aber die Touristen strömen doch eher nach Agrigent, wenn sie sich auf die Spur der griechischen Geschichte in Sizilien begeben wollen. So haben wir Selinunt, die alten Tempel, Heiligtümer, Altäre, die Mitte des siebten Jahrhunderts v. Chr. gebaut wurden, gefühlt fast für uns alleine. Weil das Areal sehr weitläufig ist, chauffiert uns ein Fahrer in einem Golfkart über das Gelände. Die Sonne knallt vom stahlblauen Himmel, wir geniessen den leichten Fahrtwind und den Duft der Feigenbäume. An einer mobilen Eisbude entdecken wir „Granita“. Diese Leibspeise der Sizilianer (und jetzt auch meine) ist ein Sorbet aus Zuckersirup, Eis und frisch gepresstem Zitronensaft – süss, sauer und in der Hitze einfach perfekt.
Der erste der drei Tempel, die hier nebeneinander gebaut wurden, ist unglaublich gut erhalten und schon auf den ersten Blick grösser als die Akropolis in Athen. Weil sich die Fachwelt nicht einig ist, welche Gottheiten hier verehrt wurden – Athene, Dionisio oder Zeus? – nennt man sie einfach mal Tempel E, F und G. Mir ganz recht! Schliesslich schwirrt mir ohnehin schnell der Kopf, wenn zu viele Namen und Jahreszahlen auf mich einprasseln. Erst kamen die Griechen, dann die Karthager und schliesslich die Römer, zwischendurch Krieg, Zerstörung, Wiederaufbau. Unglaublich, wie vielschichtig die Historie auf dieser kleinen Insel ist. Eine Hochkultur löste die andere ab und das zu einer Zeit, als wir in Germanien unsere Äcker noch mühsam mit Hirschgeweihen umpflügten und unsere Trinkhörner mit Honigmet füllten!
Apropos Trinkgenuss: Zur gelebten Kultur Siziliens gehört natürlich auch der Wein. Lange hatte er im Weinland Italien keinen allzu guten Ruf. Auf der Insel wurde viel süffiger Landwein und süsser Marsala produziert, aber nur selten wirklich edle Tropfen. Zum Imagewandel hat auch die Familie Planeta beigetragen, deren wunderschönes Weingut unterhalb der Stadt Menfi liegt.
Während uns Francesca, die Chefin, persönlich durch die Weinberge führt und schliesslich unter einem alten, ausladenden und herrlich duftenden Feigenbaum einen kühlen Carricante einschenkt, erzählt sie uns in ihrer mitreissenden italienischen Art die Geschichte ihres Familienunternehmens und wie sich der Weinanbau seit den 1990er-Jahren auf Sizilien verändert hat. „In den 1980er-Jahren haben die ersten Winzer begonnen, auf Qualität zu setzen. Der Chardonnay war ein Anfang. Aber wirklich erfolgreich wurden wir, als wir uns auf alte, lokale Rebsorten wie Nero d’Avola, Grecanico oder Moscato di Noto besonnen und uns Mühe im Ausbau gegeben haben.“
Ich entdecke mein Herz für den Weisswein aus der Carricante-Traube, den die Familie Planeta am Ätna anbaut! Er hat die salzig-mineralische Note der Vulkanerde. Schade, dass wir uns hier nicht mit Francesca und ihrem Cousin, der sich zu uns gesellt, einem fröhlichen und weit gereisten Lebemann, festtrinken können.
Aber wir wollen ja weiter. Sizilien ist eine echte Schatzkiste voll mit Geschichte und Kultur. Immer wieder versuchen wir, während wir über kleine gewundene Strassen gen Süden fahren, die schönste der vielen wunderbaren Städtchen zu küren. Ist das jetzt Monreale, mit dem goldenen Jesus-Mosaik in der Apsis der Kathedrale? Das Städtchen Ibla, das abenteuerlich auf einen 450 Meter hohen Hügel gebaut wurde? Oder Palazzolo Acreide, wo wir ein Patronatsfest mitfeiern durften? Die Barockstadt Noto, mit ihren reich mit Putten, Tieren und mythologischen Symbolen dekorierten Prachtbauten? Ein Zufallsfund hier ist ein kleines Boutiquehotel an der Kathedrale. Als wir einen neugierigen Blick in den Innenhof werfen, werden wir von Rudy, dem Rezeptionisten, eingeladen, uns das Haus anzusehen. Er ist selber völlig begeistert von diesem liebevoll eingerichteten Kleinod, das vor drei Wochen erst eröffnet wurde. Später zeigt er uns den Weg zu den bunt beklebten Treppen, die mich schon zu Hause, beim Blättern im Reiseführer total fasziniert haben! Ein Selfie auf diesen besonderen Stufen ist natürlich ein „Must“. Jedes Jahr am dritten Sonntag im Mai setzen sie hier mit ihrem Blumenfest noch einen drauf. Da legen Künstler in der Altstadt einen riesigen Blütenteppich aus.
Keine Frage. Noto steht auf jeder „Best-Of-Sicily“-Liste ganz weit oben. Aber vielleicht ist es am Ende doch die Hafenstadt Sciacca, die es auf meinen ganz subjektiven ersten Platz schafft: Der Ort ist als Thermalbad bekannt, architektonisch zwar weniger spektakulär als viele der umliegenden Nachbarörtchen, aber dafür unglaublich liebens- und lebenswert. Hier weht immer eine frische Brise vom Meer herauf, abends schieben die Bewohner ihre Küchenstühle vor die Haustür oder sitzen zusammen auf dem Marktplatz, unterhalten sich, essen und trinken Wein. Das alles ganz entspannt und ohne touristischen Massenauflauf.
Die Sizilianer verstehen es zu geniessen! Bei unseren zufälligen mittäglichen Stopps in kleinen Cafés oder Bars probieren wir uns daher durch die Spezialitäten. Delikatessen mit Pistazien sind dabei immer hoch im Kurs: Lingotti, zarte, weisse Pralinen, Cannoli, die berühmten mit süsser Paste gefüllten Röllchen und natürlich Pasticcini morbidi, die ihren ganz eigenen Suchtfaktor haben. Das Geheimnis dahinter verrät mir Maria, eine Bäckerin in Noto: Sie sind so fluffig weich, weil sie ganz ohne Mehl, nur mit Pistazien, Zucker und Eiweiss gebacken wurden! Tja, von nichts kommt nichts. Auch die Variante mit Mandeln schmeckt einfach zum Niederknien! Ich kaufe zwei Packungen, um sie meinen Kolleginnen im Büro mitzubringen. Ob sie die Heimreise erleben? Bin mir nicht sicher.
Das perfekte Souvenir finde ich in der Manufaktur von Danié. Die 45-Jährige erobert gerade die internationale Modewelt, indem sie ihre Coffe, die traditionellen sizilianischen Bastkörbe, modisch neu interpretiert. Früher wurden die Coffe auf den Rücken der Esel befestigt, um in ihnen Gemüse und Obst zum Markt zu transportieren. Heute werden die einfachen Rohlinge von Danié mit Spitze, Kordeln, Schleifen und Glöckchen geschmückt und von Models als It-Pieces über die Laufstege von Paris und Mailand getragen. Schon lustig!
Eine schöne Geschichte haben auch die Töpferarbeiten des Keramikkünstlers Michele Bono. Er fertigt herrlich bizarre und bunt bemalte Tier-Geschöpfe und interpretiert die klassischen sizilianischen „Teste di Moro“ modern neu. Überall auf der Insel, auf Balkonen oder auf Mauern haben wir diese Porzellan-Köpfe schon stehen sehen. Sie wirken eigenwillig und manchmal auch ein bisschen diabolisch …
„Diese Figuren gehen auf eine uralte Sage aus dem elften Jahrhundert zurück“, erklärt uns Michele, als wir ihn in seinem Atelier besuchen. Damals spazierte eines Abends ein junger schöner „Moro“ (so nannte man zu dieser Zeit – ohne rassistische Motive – die sehr angesehenen ehemaligen maurischen Besatzer) unter dem Balkon einer bildhübschen jungen Sizilianerin vorbei. „Es war Liebe auf den ersten Blick. Die leidenschaftliche Beziehung ging so lange gut, bis die Schöne feststellte, dass auf ihren Lover zu Hause Frau und Kind warteten. Sie war ausser sich und schwor Rache. In der nächsten Nacht, als er neben ihr eingeschlafen war, hackte sie ihm mit dem Schwert das Haupt ab.“
Michele hält inne, tätschelt eine seiner glasierten Figuren und lächelt verschmitzt, bevor er weitererzählt: „Dann hat sie den Kopf auf den Balkon gestellt und ihn als Blumentopf genutzt. Das Basilikum darin gedieh so prächtig, dass bald alle Nachbarn auch so einen Topf haben wollten. Weil nur wenige Frauen ihre Männer opfern wollten, haben wir Töpfer unsere Hilfe angeboten und die Produktion aufgenommen!“
Gleich am nächsten Morgen begegne ich den getöpferten Köpfen wieder. Sie zieren das opulente Frühstücksbuffet in unserem kleinen, charmanten Boutiquehotel auf dem Land. Ein Paar aus Mailand, das sein Geld in der Modebranche verdient, hat sich in den alten Landsitz aus dem 18. Jahrhundert verliebt und ihn kurzerhand gekauft, renoviert und zu einem Kleinod gemacht. Ihr Stil: lässig, geschmackvoll, vom Turmzimmer bis zur Suite im ehemaligen Pferdestall. Wir geniessen einen Sundowner mit Blick auf die umliegenden Felder, 27 Hektar Land gehören zu der Masseria und hier wird auch das komplette Obst und Gemüse für die Gäste biologisch angebaut. Wir schlemmen uns anschliessend durch frische Salate, raffinierte Gemüsebeilagen und delikate Pasta alla Siciliana …
Noch zwei wunderbare, gut geführte Hotels liegen auf unserem Weg. In Taormina erobert die Villa Carlotta mein Herz. Hier stehen zwei ältere Damen hinter der Rezeption und empfangen uns mit grosser Herzlichkeit. Es sind die Menschen und nicht das Inventar, warum wir regelmässig Gäste hier unterbringen, die ein kleines, persönliches Hotel bevorzugen. Leider ist diese wirklich hübsche Stadt in der Saison völlig von Touristen überlaufen, die vielen kleinen Nippes-Läden überbieten sich mit Italo-Devotionalien „made in China“. Gut, dass der Verkehr weitgehend aus der Stadt verbannt wurde. Über ein ausgeklügeltes Strassensystem wird man in Serpentinen den Berg nach oben und direkt in Parkhäuser geleitet. Denke für eine Nacht und einen Besuch im Amphitheater ist ein Stopp hier okay, ich selbst bin froh, dass wir die letzten Nächte dann wieder auf dem Land verbringen, in einem Hotel inmitten der Weinberge unterhalb des Ätnas.
Das Anwesen ist eigenwillig, charmant und aussergewöhnlich. Es ist wie ein Garten Eden mit einer beachtlichen Kunstsammlung in den privaten Suiten und Villen. 27 Wohneinheiten wurden behutsam inmitten der schwarzen Lavaterrassen, auf denen ein prächtiger Wein angebaut wird, in die Natur eingefügt. Die meisten freistehend mit Infinitypool, Blick über die Weinberge zum Meer und ganz viel Privatsphäre. Der ganze Ort hat gutes Karma, ein perfekter Abschluss unserer Reise. Wie nah uns der Vulkan ist, merken wir am Tag der Abreise. „Lag gestern schon so viel schwarzer Sand auf der Strasse?“, frage ich mich auf dem Weg zum Frühstück. Auch in den pelzigen Blättern der riesengrossen Nachtkerzen hat sich schwarze Asche gesammelt. „Heute Nacht hatte der Ätna eine grössere Eruption“, erklärt Guido. Der ehemalige Broker aus Mailand hatte sich eigentlich nur fürs Alter ein Stück Land auf Sizilien kaufen wollen. Als er diesen Ort fand, liess ihn die Insel nicht wieder in sein altes Leben zurück. Er wurde Hobbybauer und Slowfood-Freund. Jetzt kramt er sein Handy aus seiner Tasche und zeigt uns verzückt ein kurzes Video vom Ätna. Rotglühende Lava wird in den Himmel geschleudert! „Nicht gefährlich, aber auch für uns Einheimische immer wieder eindrucksvoll! Der Vulkan ist das Herz der Insel. Er sorgt für Fruchtbarkeit und auch dafür, dass hier immer etwas los ist.“
Schade, dass wir das Spektakel verpasst haben. Bei unserer Tour auf den Vulkan sehen wir nur ein paar kleine, weisse Wölkchen, die wie aus einer Pfeife aus dem Schlund in den Himmel steigen. Trotzdem bin ich völlig verzaubert. Ich habe schon wirklich viele Vulkane gesehen, aber dieser hier der fasziniert mich besonders. Schon die Anfahrt ist beeindruckend, man fährt aus dem fruchtbaren, grünen Gürtel rund um den Vulkan immer weiter nach oben und die Optik verändert sich mit jeder Minute. Die schwarze Asche bedeckt den kompletten Hang, und auf ihr stehen Hunderte von knallgelben Ginstern wie Skulpturen in einer Open-Air-Ausstellung. Und dann der Geruch, ich kann gar nicht genug bekommen, denn die Büsche verströmen einen Duft wie aus Honigwaben. Wir halten immer wieder an und wollen nur eines: riechen! Am letzten offiziellen Parkplatz angekommen, ist es erst einmal etwas rummelig. Die unvermeidlichen Andenkenlädchen und Schnellrestaurants! Aber nur wenige Meter weiter wird es surreal und einsam. Eine schwarze Mondlandschaft.
Viele schöne Momente konnten wir mit der Kamera festhalten, viele gute Gespräche mit interessanten Menschen haben diese Reise belebt. Schade nur, dass man den lieblichen Ginsterduft nicht in kleine Flaschen abfüllen kann, für eine Prise Ätna ab und an zuhause. Ich bin mir sicher: Das war nicht mein letzter Besuch beim rauchenden Vulkan!
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